Aufbrechen - Gehen - Wundern
- hartmanntabea
- 1. Aug. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Aug. 2022

Am Donnerstagabend haben wir bis kurz 21 Uhr noch Koffer gepackt. Samuel hat gepuzzelt, bis endlich alle Koffer die 23-Kilo-Grenze unterschritten haben. Hinter uns lagen an diesem Tag viel Schreibkram, die letzten Umzugsräumaktionen, eine kurze Pause mit Ullas legendärer Schokotorte, immer wieder ein paar persönliche Abschiede im Hof, Museum und Büro (unsere Lagerstätte der letzten zehn Tage) fast aufzuräumen und konzentriert zu sortieren und zu packen. Einige Freunde und auch Familie begleitete uns durch diesen Tag: kauften für uns Koffer ein, transportierten noch ein paar Habseligkeiten von uns zu sich, packten mit, räumten, deckten, schnitten Torte auf und bereiteten sich zum Teil auf eine lange Nacht vor.
Als dann das meiste geschafft war, wollten wir sieben uns irgendwie noch einmal ganz bewusst und in aller Dankbarkeit verabschieden. Wo sollte das besser gehen als in der Mauritiuskirche, die uns in den letzten Jahren so viel Heimat war? Ein paar Freunde und WeggefährtInnen schlossen sich uns spontan an. So feierten wir in dieser Nacht ein letztes gemeinsames Abendmahl und sagten einander Danke- für alles, was wir miteinander teilen und erleben durften. Diese Gemeinschaft war uns ein besonderes Geschenk. Erstaunlich, was Gott tut, wenn man seine Gaben zusammenlegt.
Gegen ein Uhr verließen wir Pleidelsheim. Lucas und Leonie fuhren uns in zwei Autos nach Frankfurt und begleiteten und geleiteten uns bis zum Security-Check. Das bedeutete passgenaues Einparken im Parkhaus am Frankfurter Flughafen, überladene Gepäcktrolleys zu manövrieren, langes Warten am Check-In-Schalter (das alles im super sexy Sportoutfit- kleiner Insider. Lucas sollte Leonie ein paar bequeme Klamotten von zu Hause mitbringen), Mitfiebern beim Wiegen und Abgeben der Koffer- Wuppsi, einer zuviel! Das kostet. Und muss bar (!) bezahlt werden. Da musste Josi sein ganzes Taschengeld auch noch rausrücken: kleingefaltete Scheine für seinen kleinen Geldbeutel. Als die Flugbegleiterin alle Scheine aufgefaltet hatte, fragte sie, ob das Geld von unserem Kind sei und gab ihm schließlich seinen Anteil zurück. Das war Gnade halb fünf Uhr morgens in Frankfurt.
Irgendwann durften wir boarden- also mit unseren fünf Tonnen Handgepäck raus auf das Rollfeld, rein in den übervollen Bus und dann noch warten (gehört zum neuen Leben irgendwie mit dazu) und dann über ein übersteile Treppe Gepäck und Kinder in das kleine Flugzeug zu hieven, heben, motivieren. Der Flug lief gut. Der Weg in Madrid vom Ankunftsgate zum Abflugsgate dauerte eine Stunde. Es waren einige Kilometer zu laufen und wir waren schon etwas k.o. nach der Nacht ohne Schlaf. Irgendwann hatten wir unser Gate erreicht und noch etwas Zeit. Wir frühstückten: Linzerschnitten von unserer lieben Schwägerin Elke und Nutellasnacks, die eine Familie von einem Freund von Josua für uns eingepackt hatte. Ein bisschen Geschmack von Heimat. Und Luxus.
Dann durften wir boarden. Alles aufladen, anstellen, durchgehen, warten. Dieses Mal in der/dem (?) Gangway (?) ohne Frischluft in der Hitze. Nach einer Weile wurden wir alle zurückgewunken: Flugzeug kaputt. Wieder warten. Dann der Aufruf, dass ein anderes Flugzeug bereitsteht... nur 28 Gates entfernt. Wieder warten, anstehen, boarden. Endlich! Ein tolles Flugzeug, ein hervorragendes Medienprogramm (wir schauten zwei bis sieben halbe Filme- immer wieder nickten wir ein).

Wir flogen über den Atlantik und landeten (übermüdet, nach einem halbstündigen, den Magen etwas herausforderndem Landeanflug und um Einiges verspätet) am Nachmittag in San José- unserer neuen Heimat für acht Wochen, Übergang zwischen alter und neuer Heimat, dem Ort, der den Kulturschock von Peru schon mal etwas aufnehmen, abdämpfen kann und an dem wir ein bisschen Spanisch lernen sollen und wollen. Der Weg zur Inmigracíon mit halbschlafenden Kindern war nicht so leicht. Das Warten auf das Gepäck und Bangen um die letzten zwei Koffer war auch sehr zäh. Als der letzte Koffer nach eineinhalb Stunden vom Band lief, gaben wir das Warten auf und wendeten uns an das Personal. Die Koffer waren wohl noch in Madrid und sollten nachgeschickt und geliefert werden. Zu diesem Zeitpunkt schliefen schon zwei Kinder: eins durfte schlafend zu Lorenzo, der mit einem großen Auto draußen auf uns wartete, transportiert werden, eins schlafwandelte dahin und konnte sich an den Weg am nächsten Morgen an nichts erinnern. Es war gegen sieben, als wir in unserem Apartment ankamen- drei Uhr nachts in Pleidelsheim.

Und nun sind wir hier, versuchen uns vorzutasten im neuen Leben. Die Eindrücke von Zuhause sind noch so nah und so dicht- wir können sie noch nicht sortieren. Den ersten Tag hier haben wir uns schon ein bisschen hinaus ins Viertel gewagt: haben Fajitas und frischen Orangensaft gefrühstückt, eine Sim-Karte und ein paar Lebensmittel gekauft: frisches Obst (von manchem wissen wir nicht mal die Namen), Chips (davon kennen wir die Namen), gesalzene Butter und Tütenbrotmitessignoteimgeschmack. Den Rest des Tages haben wir auf die Koffer gewartet und gemütlich gejetlagged. Um neun Uhr abends, als wir schon alle tief und fest schliefen seit Stunden, wurden die beiden Koffer gebracht. Was für eine Freude, wenn Heimat und Hab und Gut geliefert werden!
Und heute, am Sonntag, haben wir uns ein Uber gebucht, um zum Gottesdienst in der deutschen Gemeinde auf der anderen Seite der Stadt gehen zu können. Uber- einer der vielen Apps, die wir in den letzten Tagen installiert haben. Weil Sicherheit ganz groß geschrieben wird bei uns, haben wir unsere Sitzschalen für die Kinder mitgenommen. Im Auto schnallten wir mit einem Gurt zwei Kinder an und für manche von uns gab es keinen Gurt. Gut, dass wir die Sitze dabei hatten... fühlte sich extrem sicher an.
Der Gottesdienst in der deutschen Gemeinde war schön und wir wurden sehr herzlich aufgenommen. Und es wurde gebetet für uns. Und Abendmahl haben wir auch gefeiert. Wie in der Nacht, in der wir aufgebrochen sind ins Ungewisse.
Mit Hilfe von zwei deutschen Theologiestudierenden fanden wir die Bushaltestelle und konnten die lange Wartezeit auf den Bus gut füllen, weil wir von den beiden interessante Insidertipps bekamen und es einfach schön war, ein bisschen auf deutsch zu plaudern.
Der Bus fuhr uns ins Zentrum. Dort aßen wir etwas in einer Bäckerei. Und mit "etwas" meine ich (Tabea), ich zeigte auf irgendein Gebäck, von dem ich nicht wusste, ob es herzhaft oder süß gefüllt war und stellte uns ein kleines Menü zusammen. Und dann war jeder Bissen eine Entdeckung: Bohnenmusfüllung- einmal mit und einmal ohne Chili, Karamellfüllung und Zimtbutter. Hervorragend! Der Kaffee schmeckte erstaunlich gut, was hier in dem Kaffeeland Costa Rica nicht selbstverständlich ist. Heute erklärte uns jemand: Die guten Bohnen werden ins Ausland verkauft. Was übrig ist, ist für die Menschen hier.
Wir liefen vom Zentrum den ganzen Weg nach Hause und kamen überfüllt mit Eindrücken dieser kleinen mittelamerikanischen Großstadt an: überall kleine Shops, Musik, Werbedurchsagen, die ganze Zeit ein lauwarmer, sehr starker Wind, Müll auf der Straße, viele Löcher im Asphalt und auf dem Bürgersteig, Armut, Lebensfreude und... la pura vida!



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