"Wir rechnen mit dem Himmel, auch wenn wir die Gleichung nicht kennen."
- hartmanntabea
- 12. März 2024
- 8 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Mai 2024
(Susanne Niemeyer und Matthias Lemme)
Diesen schönen Satz habe ich heute in einem Buch gelesen, das mir meine Schwiegermutter geschickt hat. Und ich glaube, es beschreibt ganz gut, was wir hier gerade tun und erleben.
Ein paar Sätze möchte ich noch vorausschicken, bevor ich mich an den Versuch mache, die letzten drei Monate in Worte und Bilder zu bringen:
Es geht uns sehr gut! Wir haben ein wunderbares Haus, fühlen uns sicher und wohl darin. Bis auf Vögel hin und wieder haben wir eigentlich keine ungebetenen Gäste im Haus. Unser Zuhause ist ein gutes Nest, hier können wir auftanken, verbringen viel Familienzeit, schmieden Pläne, spielen, feiern und haben immer wieder das Haus voller lieber Gäste - spontan am Sonntag nach dem Gottesdienst, an Geburtstagen, im Alltag. Wir begegnen hier so vielen Menschen, die eine besondere Arbeit tun im Land, sich engagieren und die wir dann gerne zu uns einladen, bevor sie schon wieder weiterreisen und schwuppdiwupp sind wir eine große Runde.
Was ich auch noch sagen möchte ist, dass wir immer wieder davon hören, dass wir wohl schon wieder in Deutschland wären, weil es uns hier nicht gefallen hätte. Was soll ich sagen? Wir sind noch hier :) Im Juli kommen wir nach zwei Jahren zum ersten Mal zu Besuch nach Deutschland. Und "gefallen" ist natürlich eine interessante Kategorie... Wir sind aufgebrochen, um dem verspürten Ruf zu folgen. Wir sind aufgebrochen, weil wir uns wieder nach Input und neuen Eindrücken gesehnt haben, weil das Maß an Output, das wir gelebt haben ziemlich gezehrt hat an unseren Kräften. Wir sind aufgebrochen, weil wir ganz neu angewiesen sein wollten auf das, was Gott uns zeigt und was er vorhat - ohne schon alles selbst besser zu wissen. Wir sind aufgebrochen, um neu zu spüren, wir sind Lernende. Und all das haben und finden wir hier. Natürlich würde es mir besser "gefallen", die Sprache so langsam richtig zu beherrschen, um Gespräche zu führen, wann und wo ich will, zielführend und sicher. Oder Prozesse anleiten zu können für und mit Teams, die ich ungefähr einschätzen kann. Oder nicht ständig das koloniale Erbe Europas und Lateinamerikas zu bedenken, nicht ständig über absolute Armut zu stolpern, hinter Mauern und bewachten Eingängen zu verschwinden, sich sicher zu sein in dem, was man tut. Aber...
Wir haben uns für den Aufbruch entschieden. Oder er sich für uns. Und das kostet Kraft und viel Zeit. Und für uns alle sieben bleibt es jeden Tag einfach auch Arbeit, sich zurechtzufinden in der peruanischen Kultur und Sprache, in dieser chaotischen Stadt, im Staub und in der Hitze. Aber... es ist unfassbar bereichernd und wir möchten es nicht missen!
Wir haben in den letzten Wochen des alten Jahres und den ersten Wochen des neuen Jahres viel gefeiert, Advent, Silvester, Noas Geburtstag. Milchzähne sind ausgefallen. Jael, Samuel und ich sind voller Energie und Motivation gleich mit einer vollen Woche Sprachkurs ins neue Jahr gestarte und mit gleichem Schwung hat Covid Samuel und mich am Tag drei des Kurses auch schon wieder aus der aufsteigenden Kurve des Erfolgs geworfen. Von Oktober bis Februar erreichten uns gaaaaanz viele Weihnachtspakete. Das war jedes Mal eine riesige Freude! Jede Menge Erdnussflips, Spekulatius und coole Geschenke für uns alle kamen an. Dazu ein immenser Vorrat an Gummibärchen. Habt ganz vielen Dank, ihr Lieben!
Die Gemeinde verändert sich langsam. Zum Krippenspiel für die Kinder waren dieses Jahr schon über zwanzig Kinder dabei. Der Altersdurchschnitt im Gottesdienst ist übers letzte Jahr deutlich gesunken. Immer wieder sind Reisende oder Menschen, die nur für kurze bzw. eine bestimmte Zeit in Peru sind bei uns im Gottesdienst. Da haben wir manchmal das Gefühl, eine Touristengemeinde zu sein. Auch eine schöne Aufgabe. Je nachdem, wie wir es mit der Sprache gestalten, kommen mehr PeruanerInnen dazu oder eben weniger.
Wenn ich mir meine Handybilder der letzten drei Monate anschaue, denke ich: Ui, wir waren aber ziemlich mit uns beschäftigt! Ich glaube, das stimmt. Denn es fühlt sich immer noch so an, als wären die Grundlagen, auf denen wir dann arbeiten oder auf die wir etwas aufbauen können, noch nicht so ganz sicher oder klar. Es gibt hier einfach die große Herausforderung, dass die Gemeinde um ein Vielfaches ihrer Mitgliederzahl wachsen müsste, um den eigenen Standart tatsächlich finanzieren zu können. Wachstum bedeutet Veränderung. Veränderung tut weh. Und Veränderung braucht Trial and Error - Ausprobieren, Stolpern, Hinfallen, wieder neu Ausprobieren usw. Es braucht Menschen, die bereit sind für Trial and Error. Und als Kirche Jesus Christi brauchen wir ja nicht nur den finanziellen Anreiz, um wachsen zu wollen. Andernfalls wären wir eben nicht Kirche. Sondern eher ein Club.
Es arbeitet also ständig in uns. So sind wir in unseren ersten Sommerurlaub für ein paar Tage in den Norden gefahren. Da wir diese Reise schon zum zweiten Mal machten, verspürten wir das große Glück von: Das kennen wir schon! Das können wir verstehen, einordnen und tatsächlich auch zum ganz großen Teil genießen! Wir haben als ganze Familie einen Surfkurs in Huanchaco gemacht, haben uns die Bäuche mit den leckersten Säften in Piura vollgeschlagen, haben Ruhe, Meer und Strand und ein bisschen Einsamkeit in der Nähe von Punta Sal genossen - wo wir auch Jaels Geburtstag wie letztes Jahr gefeiert haben - haben auf dem Rückweg natürlich auch wieder die Luft angehalten in Chimbote (Fischmehlfabrik, riecht nicht schön), haben gestaunt über Wüste und Meer, Flusstäler, Müll, Weite, den Himmel und wie gern wir inzwischen hier im Land unterwegs sind.
Als wir wieder zu Hause waren, gab es auch wieder Einiges zu tun. Aber es lebt sich im Januar und Februar einfach viel leichter, weil die Kinder keine Schule haben und der Tag eine andere Taktung hat.
Samuel und ich waren sogar einmal über Nacht allein unterwegs und sind südlich bis nach Paracas gefahren. Das war so schön und tat so gut! Wir haben es in vollen Zügen genossen und wussten den Rest unserer Familie in besten Händen!
Außerdem haben wir die Zeit genutzt, um mit Josua ein besonderes Geschenk zur Konfirmation einzulösen. Wir waren in einem sehr schicken Restaurant essen und sind innerlich ausgeflippt bei all diesen besonderen Geschmäckern, während wir äußerlich versuchten, ganz vornehm und cool zu wirken.
In unserem Garten waren nach ein paar Monaten Wartezeit nun endlich unsere Bananen reif und wir konnten ernten. Das war toll! Und wir haben zum ersten Mal Chicha Morada gemacht. Das wird hauptsächlich aus lilafarbenem Mais gekocht und der Duft von dem lilafarbenen Saft füllt dann das ganze Haus.
Inzwischen hatte Zoe auch noch ihren zweiten oberen Vorderzahn verloren. Nun war sie aber wirklich schulreif :)
Mitte Februar haben sich meine Eltern auf die große Reise nach Südamerika gemacht. Wir haben uns quasi recht spontan entschieden, mit ihnen ein bisschen durchs Land zu reisen. Weil sie einfach das erste Mal hier auf dem Kontinent sind, weil sie vermutlich mit ihren Russisch- statt Spanischkenntnissen hier nicht so weit kommen würden und weil mein Vater einfach nicht so gut zu Fuß ist. Und so waren wir in diesen Sommerferien sogar zweimal Urlaub! Ich hatte schon echt Sorge, ob wir alles gut schaffen so als Reisegruppe zu neunt - mit der Höhe, der Luftfeuchtigkeit, den klimatischen Wechseln... Wir starteten zuerst nach Tambopata. Da waren wir direkt am Fluss in eine Ecolodge untergebracht, die u. a. durch den Tourismus ihren Schutz des Regenwaldes finanziert. Wir waren absolut geflasht vom Artenreichtum, den Tieren (den Mosquitos...), dem Wald, wieviel Kraft es braucht in diesem Land, den Wald und seine Bewohner zu schützen. Wir saßen im Motorboot und konnten uns nicht sattsehen am Grün, schipperten auf einem kleinen Boot auf einem Fluss und haben so gedacht, mehr Urwald geht nicht - mystisch, heiß, feucht, undurchsichtig und dann fliegen auf einmal Papageien in den schillerndsten Farben über einem und die Äste der Palmen sind schwer von Aguaje (eine Frucht, die von außen aussieht wie ein Tannenzapfen, sehr lecker und wahnsinnig gesund ist). Und zu Fuß waren wir auch viel unterwegs. Der Großvater musste immer geduldig auf uns Abenteurer warten und sich dann einfach an unseren Bildern und Erzählungen mitfreuen. Die Sache mit den Schlangen mag ich leider gar nicht am Regenwald. Gleich am ersten Tag dort, standen die Kindern einen Meter entfernt von einer Korallenotter. Die kann wohl einen Elefanten töten. Alter... Ich glaub, das macht mich im Nachhinein noch demütiger und ich bin extremst heilfroh, dass wir nur Covid auf unserer Reise hatten und dass das zum Glück auch sehr glimpflich verlief.
Aus dem Regenwald sind wir dann nach Cusco geflogen und nach Ollantaytambo weitergefahren. Und am nächsten Tag ging es weiter nach Machu Picchu. Für uns sieben zum zweiten Mal. Und es war dieses Mal noch besonderer. Wir hatten angenehmes Wetter, der Regen hatte gerade aufgehört, als wir oben ankamen. Wir hatten eine tolle Route und einen sehr sympathischen Guide. Ganz im Glück sind wir dann wieder zurückgekehrt und haben meinen Vater aufgesammelt, der vier Stunden in einem Café in Aguas Calientes auf uns gewartet hatte.
Von Ollantytambo ging es nach Cusco. Und auch dort fühlen wir uns schon fast ein bisschen zu Hause und haben uns mit Spaziergängen abgewechselt, dass immer jemand beim noch fiebrigen Kind blieb.
Am Freitag vor Schulbeginn kamen wir wieder in Lima an und haben noch schnell alles, was noch fehlte für den Schulstart eingekauft und uns auf einen besonderen Sonntag vorbereitet. Gott sei Dank waren wir dann alle wieder gesund und "negativ". Am Sonntag kamen über 20 KollegInnen vom Pastoralkolleg Niedersachsen zu unserem Gottesdienst, die eine gemeinsame Fortbildung in Peru machten. Die beiden Ehepaare, die diese Reise leiteten, waren beide schon einmal Stelleninhaber der Christuskirche in Lima. Das war wirklich eine besondere Begegnung für uns. Und natürlich für die ganze Gemeinde!
Am Montag ging dann die Schule wieder los, aber noch nicht für alle. Denn Zoe ist am Mittwoch mit einem großen Fest in die erste Klasse gestartet.
Und ein paar Tage später mussten wir uns dann wieder von den Großeltern verabschieden. Dank ihnen hatten wir wirklich eine tolle gemeinsame Reise und konnten wunderbare gemeinsame Erinnerungen sammeln!
Wo war ich stehen geblieben... mit uns beschäftigt... und vielleicht auch damit, sich ein bisschen in dieses Land zu verlieben, dass es zuhausiger wird und nicht mehr so fremd ist. Und - und dieses Gefühl schwang quasi permanent für mich mit - weil wir Kraft tanken durften. Ich weiß nicht, was kommt. Aber ich habe ein bisschen das Gefühl, dass es jetzt losgehen könnte. Dass langsam diese Grundlage entsteht, auf der wir vielleicht etwas bauen dürfen. Wir rechnen mit dem Himmel, auch wenn wir die Gleichung nicht kennen.
Ein paar Ideen arbeiten grad in uns und wir auch schon ein bisschen an ihnen: Samuel entwickelt einen Videopodcast mit dem Titel: "Gott, die Welt und Peru." Zwei Interviews hat er schon geführt. Mit Gästen, die auf der Durchreise in Lima sind und uns von ihrer herausfordernden Arbeit berichtet haben: Einerseits, um die Versorgung eines indigenen Stammes im Amazaonasgebiet um Iquitos. Andererseits um die Erhaltung und Förderung der Rechte eines anderen indigenen Volkes, dass im Amazonashochland lebt. Wobei bei dieser Arbeit auch das Ausmaß der Zerstörung des Regenwalds immer wieder Thema ist. Nur mal so als Teaser. Die Podcasts gibt's, wenn Logo, Jingle und letzte Abmischung kreiert bzw. geschafft sind.

Und ich träume von einem Chor für Kinder, die sonst wenig Zugang zu Bildung haben. Wenig Bildung bedeutet hier meistens: einseitige Ernährung, wahrscheinlich niemanden zu haben, der die Gaben fördert, meistens vaterlos aufzuwachsen, eventuell eines von vielen Kindern einer Teenagermutter zu sein. Ich treibe ein wenig umher und suche, ob jemand von hier (der oder die die Sprache, die Kultur und die Bedürfnisse der Menschen kennt oder einschätzen kann), mit mir diesen Traum teilen mag. Mal sehen. Letzten Sonntag sind irgendwie aus dem Nichts zwei Peruanerinnen aufgetaucht... Diesen Sonntag waren sie wieder da. 2 Stunden 45 Minuten Anfahrt hatten sie. Irgendetwas hat sie zu uns in die Kirche getrieben. Oder hat sie jemand gerufen? Den beiden hab ich von meinem Traum erzählt. Und wir bleiben mal im Gespräch...
Ein paar andere Ideen haben wir auch noch. Und wir hoffen, dass in unserer Gemeinde auch langsam Ideen wachsen. Oder dass Menschen anfangen, über ihre Träume von Kirche zu sprechen. Und dass wir gemeinsam anfangen, zu rechnen. Mit dem Himmel.
Seid ganz liebe gegrüßt, Gott befohlen, eure Tabea





































































































































































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