Zeit haben...
- samuelhartmann3
- 17. Sept. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Sept. 2022
Wir hätten das nicht erwartet, dass wir in der so genannten Rushhour des Lebens, mit fünf Kindern, beide Elternteile mitten im Beruf mal so viel Zeit haben würden.
Wir haben Zeit, um ganz viel zu entdecken, Zeit, um nach der Schule gemütlich Kaffee zu trinken und Papaya zu essen, Zeit, um an ein paar Wochenenden Urlaub zu machen, Zeit, um zu spielen und zu malen. Zeit, um mit jedem Kind mal einzeln nur mit Mama oder Papa unterwegs zu sein.
Die kleinen Kurzurlaube haben sich wir Flitterwochen angefühlt- zu siebent. Ein bisschen Zeit haben wir noch hier in Costa Rica, bevor eine Zeit kommt, von der wir jetzt noch nicht wissen, wie sie wohl sein wird.

Ein besonderer Tag war für mich (Tabea) der letzte Donnerstag. Er begann mit einer herrlichen Morgenstimmung. Und ich dachte so für mich: "Dies ist der Tag, den der Herr macht! Lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein." Und ich hab überlegt, ob ich das Foto mit dem Bibelvers auf Instagram poste oder ob das ein bisschen zu dick aufgetragen wäre. Denn wer weiß, vielleicht ist es ja einfach nur ein stinknormaler Tag. Und für alle, die uns bisher auf Instagram folgen, ist der Tag ja auch schon halb rum und vielleicht damit auch alle Hoffnungen auf einen besonderen Tag.

Dieser Tag war Donnerstag, der 8. September.- Ein Tag vorm Kindertag hier in Costa Rica. In der Schule haben wir uns gewundert, dass an diesem Tag das Lachen unserer Kinder überall in der Schule zu hören war- immer wieder und so laut und fröhlich. Als wir auf die Terrasse zur Pause kamen, saßen alle fünf vergnügt am Tisch über einer großen Portion Obst mit Vanille. Die beiden LehrerInnen hatten den Kindertag vorgezogen, weil wir ja am Freitag keinen Unterricht haben. Zusammen haben sie Sackhüpfen und Ballspiele und 1-2-3-Queso mit den Kindern gespielt, Obst geschnitten und Eis verteilt. In der Mittagspause wollten wir in ein kleines Restaurant essen gehen, weil zumindest wir Erwachsenen so großen Hunger hatten.

Der Himmel zog sich schnell zu und dann fing es an, in Strömen zu regnen. Wir schauten etwas besorgt raus. Es schien sich keine Regenpause zu ergeben. Wir mussten doch zurück in die Schule! Aber nass bis auf die Haut werden...? Ich schaute wieder raus und meinte draußen jemanden zu erkennen. Da lief doch Juan-Carlos, der Türsteher von der Schule mit Regenschirmen unterm Arm. Er hatte sich auf den Weg gemacht, um uns so trocken wie möglich in die Schule zu bringen. Ich war so gerührt! Und als wir dann am Nachmittag zu Hause waren, bekam ich Bilder von einer Freundin, die einen wunderschönen Geburtstag gefeiert hat. Und ich ärgerte mich über mich selbst: Ich hätte das Bild am Morgen posten sollen!

Am Freitagmorgen sind wir in unseren letzten Kurzurlaub hier in Costa Rica gestartet. Wir sind extra ganz früh losgefahren, um noch einen Nationalpark unterwegs besuchen zu können und den Tag einfach voll auszukosten. Aber nach kaum einer Stunde Fahrt standen wir im Stau. Für über drei Stunden Stau. Im Regenwald. Und was soll ich sagen, wir hatten Zeit, um im Stau zu stehen. Nach über sieben Stunden Fahrt kamen wir bei unserem Hotel an der Karibikküste an. Den Nationalpark haben wir verschont. Ist ja eh besser für die Tiere. Stattdessen haben wir mit Blick aufs Meer in tropischer Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit gemütlich gegessen und waren dann bis abends, als der Regen kam, am Strand.
Eine kleine Lagune hatten wir fast für uns. Und die Korallen und die kleinen Rifffische auch. Und als der Regen aufgehört hatte, war sogar noch Zeit, um den vollen Mond zu bestaunen- mit den Füßen im warmen Atlantik. Wahrscheinlich wäre es die perfekte Nacht gewesen, um kleine Schildkröten auf dem Weg ins Meer zu beobachten. Aber auch die wollten wir in dieser Nacht verschonen und lieber unbeobachtet ihren Weg ins Meer finden lassen.
Das Wochenende hat uns viele neue Eindrücke vom Land ermöglicht. Wir waren in einer Tierauffangstation (jaguarrescue.foundation) haben ein bisschen davon mitbekommen, wieviel Kraft einzelne Menschen dafür aufwenden, sich um die Tiere zu kümmern, die von ihren Besitzern furchtbar behandelt wurden oder die sich in der Zivilisation so verletzen, dass sie aus eigener Kraft nicht überleben könnten. So viel Kraft und Zeit aus Respekt vor dem Leben. Das hat mich beeindruckt. Es gibt viele Menschen, die sich für den Erhalt von den Wäldern und dem Lebensraum der Tiere einsetzen. Über ein Viertel des Landes ist mittlerweile Nationalpark-Gebiet.
Und andererseits gibt es natürlich auch viele Menschen, die in diesem Land Hilfe brauchen. Costa Rica liegt für viele, die aus den unerträglichen Umständen in ihrer Heimat fliehen, auf dem Weg ins gelobte Land "Los Estados Unidos". Wir haben uns in den letzten Tagen ein wenig mit der Geschichte Venezuelas beschäftig. Die Situation dort ist unerträglich für die allermeisten Menschen. Eine der größten Flüchtlingsbewegungen weltweit. Aber in Europa wissen wir kaum etwas darüber. Die vielen VelezuelanerInnen auf dem Weg in ein besseres
Leben prägen auch das Stadtbild San Josés. So viel Verantwortung für so ein kleines Land: Den Regenwald schützen, aber gleichzeitig so viele Banane wie möglich anbauen, dass die Menschen weltweit diese auch günstig einkaufen können. Die eigene Gesellschaft versorgen und zusätzlich noch Hundertausende von Flüchtlingen. Gute Gastgeber zu sein und gleichzeitig den Charme der unberührten Natur zu bewahren. Und natürlich noch tausend andere Dinge, von denen ich nach ein paar Wochen als Gast in diesem Land noch gar nichts weiß oder erahne.
Und wir? Wir haben Zeit, uns darüber Gedanken zu machen und zu staunen. Wir müssen nichts verändern oder bewältigen. Wir dürfen Vokabeln lernen und Subjuntivos vom Imperfecto pasado Perfecto Futuro, der aber in der Negativform anders heißt als in einem positiven Satz...
Und wir dürfen Zeit verbringen und innehalten und uns besinnen, auf das was war und was ist und zählt.
"Die ist der Tag, den der Herr macht! Lass und freuen und fröhlich an ihm sein!"














































Ich konnte auch gar nicht aufhören zu lesen was Ihr dort alles erlebt. Ihr kennt mich nicht- ich bin eine Freundin von Kat und Heino und wohne in Bad Kreuznach. Friedemann ist mein Patenkind.
ich wünsche Euch viel Segen für Eure Arbeit! Danke für Eure Einblicke 🙋♀️
Herzliche Grüße Jutta
Wunderbar! Da ist man ja fast mit dabei!
Martin Remus